Einige
Tage waren seit dem Gespräch mit Umbra am Feuer vergangen und Raven war noch
immer im Dorf. Er rappelte sich auf und beschloss schon am nächsten Tag seine
Suche nach seinem Weib fortzusetzen. Als er vor die Tür seiner Hütte trat, sah
er Mika und Nóri in ein Gespräch vertieft. Das was er mitbekam, ging um einen
Auftrag, den Mika wohl erledigt hatte. Die Worte „Kragen“ und „Anker“ waren
herauszuhören.
Raven
grüßte seinen Freund und den Thrall und Mika lächelte für einen kurzen Moment,
als er den Gruß erwiderte. Dann sah er wieder auf den vor ihm knieenden Thrall
und trug ihm auf, dem Dorfjarl auszurichten, dass sich Dunkle, nein Schwarze,
im Dorf herumtreiben, vor allem vor der Heilerstube. Da wurde Raven hellhörig.
Wann genau das war, wollte er wissen. Beinahe täglich fielen sie Mika auf.
Durch die Masken konnte er aber nie den verräterischen Dagger auf ihrer Stirn
erkennen.
Mika
war zu Ohren gekommen, dass Prayer in Gefahr sei, auf ihn hätte man es
abgesehen. Raven verwarf seine Reisepläne wieder und beschloss zunächst im Dorf
zu bleiben. Wenn Gefahr das Leben der Bewohner bedrohte, wurde jedes Schwert
des Dorfes gebraucht, die Suche nach Rayna war da erst mal zweitrangig.
Beide
beauftragten sie Nóri seinem Jarl das eben gehörte so schnell wie möglich
auszurichten und der Thrall sah verängstigt und blass aus, seine Haut
schimmerte beinahe so hell wie sein Haar. Raven fuhr sich fahrig durch die
Haare und dachte nach. Verdammt, warum gerade jetzt? Immer, wenn er sich etwas
vornahm, wurden seine Pläne durchkreuzt. Er fluchte wohl lauter, denn Mika
entschuldigte sich dafür, dass er nicht beeinflussen kann, wann und wie „ihre“
Informationen ihn erreichten. Raven sah ihn an und legte ihm eine Hand auf die
Schulter. Er ahnte „wer“ Mika die Informationen zukommen ließ und ohne dass er
fragen musste, nickte Mika. Er hatte also wieder eine Vision gehabt! Die
Schwarzen hatte er aber gesehen, das war keine Vision gewesen. Wie viel Zeit
dem Dorf blieb, konnte Mika erst nach einer Nacht auf dem Berg sagen. Raven
nickte und deutete auf die Polster vor dem Haus. Beide setzten sich und Raven
schickte Nóri ins Haus um etwas zu trinken zu bringen und nach einer
Kleinigkeit zu essen zu schauen.
Raven
sah seinen Freund an. Brauchte er vielleicht Unterstützung dort oben auf dem
Runenberg? Er bot Mika seine Hilfe an und Mika nahm sie an. Er bat Raven nur um
eines: sollten „sie“ sein Blut fordern, dürfte er ihn nicht davon abhalten.
Raven stimmte zu, solange „sie“ nicht alles haben wollten.
Der
Thrall kam mit Paga und Wasser zurück und stellte die Becher wortlos auf den
Tisch, um das Gespräch der beiden Männer nicht zu unterbrechen. Dann machte er
sich auf in Richtung Hall. Raven fragte Mika wann er vor hatte auf den Berg zu
steigen. Noch heute Nacht sobald es dunkel genug war, lautete Mika’s Antwort.

Nóri
brachte einen Teller mit Obst und stellte ihn auf den Tisch.
Mika wirkte für einen Moment abwesend und murmelte in der alten Sprache ein
paar Worte. Raven kannte das inzwischen schon, aber Nóri schien gleich aus
seinem Kragen kippen zu wollen. Mika schien an sich zu zweifeln. Immer wieder
hatte Raven ihn darin bestärkt endlich zu erkennen, was er ist. Er war nicht
einfach nur ein Schmied. Er hatte die Gabe die Götter zu verstehen, mit ihnen
zu kommunizieren. Raven erinnerte sich noch gut an den Abend, als Mika das
Schwert, welches er im Traum gesehen hatte, für Odin schmiedete und auf den
Runenberg brachte. Er war dabei als die Raben auftauchten, sich ein Wind erhob
und mit Blitz und Donner das Schwert verschwand. Er erinnerte sich an die
Kerzen auf dem Altar, die wie von Geisterhand erloschen.
Das
mit den Kerzen wäre eine einfache Sache. Mika grinste und starrte auf die
Kerzen auf dem Tisch. Es dauert nicht lange und der Wind frischte auf, der eine
der Kerzen ausblies, die anderen beiden flackerten nach wie vor in Windstille.
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Mika läßt Kerzen erlöschen |
Raven brummte und wies Nóri an die Kerze erneut zu entzünden, dann sollte Mika dasselbe
nochmal machen. Der Thrall gehorchte und entzündete die Kerze an einer der
beiden anderen.
Wieder
starrte Mika auf die Kerzen, so wie Raven und Nóri auch. Und wie beim ersten
Mal erhob sich ein leichter Windhauch und ließ die Kerze flackernd erlöschen.
Verdammt, wie machte er das nur? Mika meinte, es wäre das einfachste auf der
Welt, Raven sollte es doch auch versuchen. Wieder ließ er den Thrall die Kerze
entzünden und starrte wie Mika auf das flackernde Licht. Seine Augen tränten
und er unterdrückte das Blinzeln. Nichts passierte und Raven sah Mika an.
Dessen Gesichtsausdruck war mehr als überrascht. Nun sollte Nóri es versuchen.
Wie Raven eben starrte er auf die Kerze, bis seine Augen zu tränen begannen.
Die Kerze erlosch und der Thrall war darüber noch mehr überrascht als Raven.
Mit weit aufgerissenen Augen fiel er nach hinten um und stammelte, dass er das
nicht war. Mika fing zu kichern an und Raven wurde sauer und warf seinen leeren
Becher auf seinen Freund. Er traf ihn an der Stirn. Mika hatte sich einen
Scherz mit ihm erlaubt!
Lange
schwiegen sie sich an, bis Nóri bat nach Hause gehen zu dürfen. Raven nickte
und schon war der Thrall in Richtung Werft verschwunden. Mika sah in die Kerzen
und legte seine Hand auf seinen Gürtel, an dem er seinen alten Kragen immer bei
sich trug. Raven entging die Geste nicht und er fragte nach, ob es seines wäre.
Mika nickte. Es war eine Erinnerung an eine vergangene Zeit, an seinen Jarl. Er
hatte den Kragen einst für Mika angefertigt, aus Silber, Stahl und Leder. Raven
bat darum ihn sich ansehen zu dürfen und Mika legte ihn auf den Tisch.
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Mika's ausgedienter Kragen |
Raven
betrachtete die kunstvolle Arbeit eingehend. Der Kragen war mit viel Liebe zum
Detail angefertigt worden. Mika schien noch sehr an Tekko zu hängen, so wie
jeder Junge an seinem Jarl hängt. Er hatte Raven mal erzählt, dass er Tekko in
Turmus besucht hatte, ihm dort die Nase zertrümmert hatte und dass nicht mehr
war wie vorher, als er noch kniete. Er hatte begriffen, dass er zwar noch sehr
an diesem Mann hing, es aber für eine Beziehung auf gleicher Ebene nicht mehr
reichte.
Mika
sah in den Himmel. Es war nun dunkel genug, um auf den Berg zu gehen. Sie
standen beide auf und machten sich auf den Weg. Auf der Hälfte zwischen Dorf
und Gipfel errichteten beide ein Lager für die Nacht und stiegen weiter hinauf.
Mika
ging zielstrebig zum Altar und legte seine Waffen davor ab. Raven blieb ein
gutes Stück hinter ihm, sank auf ein Knie und beugte seinen Kopf. Wieder sprach
Mika in der alten Sprache und kniete vor dem Altar. „Ég spyr þig, Asen, sýna
mér leiðina“.
Dann
kam er zu Raven und zog ihn zur Feuerschale, in der das heilige Feuer brannte.
Beide setzten sich ins weiche Gras und sahen sich schweigend an.
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Mika empfängt eine Vision |
Ein leichter
Wind erhob sich urplötzlich und Mika kniete sich vor die Feuerschale, die Augen
hatte er geschlossen. Er schien nicht ansprechbar zu sein und Raven beobachtete
ihn still und fasziniert. Der Wind frischte zu einer Brise auf und fuhr beiden
Männern in die Haare, das Feuer flackerte. Mika griff nach seinem Dagger und
schob den rechten Hemdsärmel hoch. Ohne eine Regung setzte er an der Außenseite
einen tiefen Schnitt und das Blut tropfte in das Feuer. Raven wollte schon
aufspringen, aber er erinnerte sich an Mika’s Worte vorhin. Er sollte ihn nicht
abhalten, wenn „sie“ sein Blut forderten. So setzte er sich wieder ins Gras und
beobachtete weiter. Dann erklang laut und deutlich Mika’s Stimme:
„Zwei schwarze
Schatten, von Norden her sie kommen, zwei schwarze Schatten, legen sich auf
Land und Volk, zwei schwarze Schatten mächtiger als alles zuvor… Odin spricht,
kämpft für das was ihr habt!“
Erschöpft
sackte Mika zurück ins Gras und Raven riss ein Stück von seinem Kilt ab, legte
es auf die blutende Wunde an Mika’s Arm. Die einzige Frage in Raven’s Kopf war
die nach dem Dorf. Würden sie bleiben können oder müsste der Clan sich wieder
auf die Suche nach neuem Land machen? Mika nickte Schon sehr bald müssten sie
aufbrechen, sonst würde niemand überleben. Und Prayer würde als erster fallen.
Raven wollte wissen, ob Mika noch mehr gesehen hatte, vielleicht auch etwas von
seiner Rayna? Er würde dafür ein Kleidungsstück von Rayna brauchen und er
müsste es verbrennen. Raven trug immer ein Tuch von Rayna bei sich, es duftete
nach ihr. Aber das würde er Mika keinesfalls geben, wenn er es verbrennen
würde. Mika war für heute zu erschöpft, die Visionen raubten ihm jede Kraft.
Aber morgen würden sie erneut auf den Berg steigen und dann sollte Raven etwas
von Rayna dabei haben. Mika mahnte Raven, dass er auch sehen könnte, wenn sie
nicht mehr am Leben sein würde. Raven war das bewusst, aber er wollte endlich
Gewissheit.
Raven
stützte seinen Freund als sie sich auf den Abstieg zum Lager machten. Er legte
seinen Kopf auf Mika’s Schoß und sah in den Sternenhimmel. Er hoffte, dass
Rayna in genau diesem Moment genau dasselbe tat und an ihren Gefährten dachte.