Samstag, 12. Oktober 2013

Es war noch ziemlich...

... früh, als Raven die Terrasse zur Gaststube betrat. Einzig die Heilerin war dort zugegen und als Raven sich zu ihr setzte, eilte Corin aus der Küche heraus und sank freudig strahlend neben Raven auf die Knie. Jane ließ sich ein Blackwine bringen, das wohl einzige Getränk, das sie kannte. Für Raven war es noch zu früh, um mit einem Paga zu beginnen und so ließ er sich ein Wasser bringen. Corin war irgendwie abgelenkt, immer wieder sah er fahrig in Richtung Küche und stammelte was von einer jungen Herrin. Jane erklärte, dass seit dem Vortag eine junge Pilgerin in der Stadt weilte und diese sich gerade an ihrem Frühstück versuchte. Das erklärte Corin’s Sorge. Wahrscheinlich befürchtete er, sie könne sich verletzen. Aus der Küche drang Gemurmel, Raven konnte eine junge Frauenstimme hören, die neugierig nach ihm fragte. Er musste schmunzeln. Diese jungen Dinger waren doch alle gleich, neugierig und ohne Furcht vor irgendwas.
Dann hallte Corin’s panischer Ruf nach der Heilerin zu ihnen heraus und beide sprangen auf. Corin war über die junge Frau gebeugt, die leblos auf dem Boden lag und flach atmete. Raven forderte Corin auf sie auf ein weiches Fell zu legen, der Boden war doch viel zu hart. Er tat es und gemeinsam mit Jane kümmerte er sich um die hübsche Pilgerin mit dem pechschwarzen Haar. Raven ging aus dem Weg, damit Jane freien Zugang zu der Pilgerin hatte. Die beiden hockten über der jungen Frau, fühlten ihren Puls, tätschelten ihre Wangen. Raven hatte von sowas keine Ahnung, aber für ihn sah das nach einem Schwächeanfall aus. Wasser könnte helfen. Corin kümmerte sich rührend, während Jane ihm mehr oder weniger bei der Arbeit zusah.
Raven beschloss die beiden in Ruhe arbeiten zu lassen und ging hinaus. Sie würde ihn schon rufen, wenn sie seine Anwesenheit benötigten. Er ging über den Markt und erstand eine Larma, die er gleich aus der Hand aß. Es vergingen einige Ehn, bis er zurück zur Gaststube schlenderte und an seiner Larma kaute. Der Pilgerin ging es anscheinend wieder besser. Sie saß draußen auf einer der Bänke mit Jane und Corin und hörte einer Geschichte seines Jungen zu. Er setzte sich auf den Stuhl des Administrators und lauschte. Es ging um Rayna, soviel bekam er noch mit, bevor Corin verstummte und zu Raven eilte.
Die Pilgerin schob ihren nicht mal zur Hälfte gegessenen Teller beiseite und sah Raven an, deutete auf den Teller und dann auf Corin. Raven nickte, natürlich durfte er den Pfannkuchen haben, der da auf dem Teller lag. Dann sprach er die Frau an, befragte sie nach ihren Reiseplänen. Sie stammelte sich etwas zu Recht. Raven musste sie aus irgendeinem Grund eingeschüchtert haben. Sie nagte nervös auf ihrer Unterlippe rum und zwirbelte eine ihrer schwarzen Locken. Sie fragte Raven leise nach seiner Gefährtin, dass sie verschwunden sei. So hatte Corin ihr das erzählt. Raven nickte nur. Die junge Frau stellte auffallend viele Fragen zu Rayna, ob sie denn gesucht worden sei und wer nach ihr gesucht hatte, wie lange sie denn nun schon fort wäre. Raven stutzte, beantwortete aber alle ihre Fragen.
Raven bemerkte mit einem Lächeln, dass Rayna ähnlich schöne schwarze Locken wie sie hatte. Die junge Frau spielte mit einem Amulett, das sie um den Hals trug, klappte es auf, sah hinein und verschloss es wieder. Es wäre das einzige, was sie noch von ihrer Mutter hatte. Ihre Eltern gaben sie schon in frühester Kindheit zu ihren Großeltern. So jung die Frau auch war, so verbittert klang sie nun. Raven verstand das nur zu gut, er selbst schickte seine Familie damals in Sicherheit zu Rayna’s Eltern nach Thentis, nachdem die Überfälle auf Lair sich häuften. Seine Lale war damals noch ein Baby. Inzwischen musste sie um die 15 oder 16 Winter sein.
Ob er seine Tochter jemals wiedersehen würde, wollte die junge Frau wissen. Und dann fiel es Raven wie Schuppen von den Augen. Saß da seine Lale vor ihm? Sie müsste ähnlich alt sein wie sie und die Ähnlichkeit mit Rayna war gravierend. Sie hatte dieselben Haare, dieselbe schöne helle Haut und die gleiche zierliche Statur. Und sie hatte braune Augen, wie Raven.
Er fragte sie nach ihrem Namen, ob sie Lale hieße und als sie darauf nur nickte, sackte Raven in seinem Stuhl zusammen. Sie war es! Seine Lale saß da vor ihm! Er sprang förmlich aus dem Stuhl und ging steifbeinig zu seiner Tochter. Er breitete seine Arme aus in der Hoffnung, dass er sie halten dürfte. Und er durfte. Lale stand auf und kam auf ihn zu. Als wären sie nie getrennt gewesen, schlang sie ihre Arme um die Hüften und umarmte Raven.
 
Raven schämte sich seiner Tränen nicht, er hielt sein Kind fest und ließ sie hemmungslos über seine Wangen rollen.
 

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